Es ist inzwischen zu einem Ritual geworden, dass ich mich an beiden Besuchertagen durch die Buchmesse schlage. Zwar wäre es als Student auch möglich zu den Fachbesuchertagen zu gehen, aber das ist a) trotz Ermäßigung noch saumäßig teuer und b)unnötig, wenn man aus der Erfahrung gelernt hat, wie man den größten Menschenmassen aus dem Weg geht, um trotzdem alles zu sehen. Lediglich wenn man bestimmte Veranstaltungen sehen möchte, muss man sich dann ins arge Getümmel stürzen. Einen groben Plan zu haben, was man besuchen möchte, mag zwar hilfreich sein, erfahrungsgemäß hält man sich aber dann doch nicht dran oder das Gedränge ist trotz des eingerechneten Puffers noch zu groß, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Viel schöner ist es ohnehin sich durch das Treiben treiben zu lassen und mal hier, mal da halt zu machen.

Fast zwei Wochen ist der Trubel nun schon wieder her ohne dass ich dazu gekommen wäre, diesen Beitrag endlich zu einem Abschluss zu bringen. Inzwischen haben meine Füße längst wieder aufgehört zu schmerzen, der enorme Papierstapel in Form von Prospekten, Flyern etc. neben meinem Bett hat wieder abgenommen und schließlich ist dann doch dieser Text hier ist entstanden. Es folgt meine persönliche Nachlese der Frankfurter Buchmesse 2013.

Samstag — Tag 1

Die Sache mit den Menschenmassen fängt wie immer schon im Zug an. Meiner persönlichen Tradition entsprechend bin ich zwar rechtzeitig am Bahnsteig, bekomme aber trotzdem keinen Sitzplatz mehr und stehe — wie so ziemlich jedes Jahr — im Ausstieg auf der Treppe. Nach dem Klingeln des Weckers ist dies bereits der zweite Punkt an dem ich mich Frage, warum ich diesen Mist eigentlich alljährlich mitmache. Ich Fluche ein wenig auf die Bahn, die auch dieses Jahr nicht schlauer geworden und auf die Idee gekommen ist, mehr Züge oder wenigstens mehr Waggons einzusetzen, finde mich dann aber mit meinem Schicksal ab. Man muss als Mainzer ja inzwischen froh sein, wenn hier überhaupt Züge fahren…

Luis & Rómulo Royo

Gesprächsrunde

Gesprächsrunde mit Luis und Rómulo Royo

Der Rest der Anreise läuft Problemlos mit der U-Bahn und nachdem ich horrende elf Euro für ein ermäßigtes Ticket hingeblättert habe, betrete ich die geheiligten Hallen der Büchernarren. Schon auf dem Weg zur ersten Halle gibts dann hier ein Tütchen, da einen Flyer und die unvermeidliche Messezeitung der Frankfurter Allgemeinen bei der man in diesem Jahr, wie sich am Folgetag zeigen sollte, die sonntägliche Ausgabe wegrationalisiert hatte. Aber der Reihe nach. An diesem Samstag steht als erster Programmpunkt ein Interview mit Luis und seinem Sohn Rómulo Royo auf meiner Tagesordnung, die in der Comic-Area von ihrem Gemeinschaftsprojekt Zeit des Bösen berichteten. Zwar war ich nie ein großer Anhänger des Stils von Luis Royo, doch wollte ich einfach einmal sehen, welches Gesicht sich hinter diesem Namen verbirgt. In dem Teil, den ich mitbekommen habe, ging es vornehmlich um das Setting und die Figurengestaltung in Zeit des Bösen, was durchaus spannend war, wenn auch durch die Übersetzung aus dem Spanischen vielleicht etwas verloren ging. Ein Blick auf die Uhr lässt mich dann auch schon in die nächste Halle eilen.

„Martensteins Morgenmesse“

Zum ersten Mal an diesem Tag muss ich mich nun wirklich durchs Gedränge kämpfen und so erreiche ich mit etwas Verspätung den Stand der Zeit, wo Harald Martenstein bereits mit seiner „Morgenmesse“ begonnen hat — es hätte mich ja auch gewundert, wenn es mir gelingen würde, in meinem Zeitplan zu bleiben. Man mag ja von Martenstein halten was man will, schon alleine die Tatsache, dass er in Mainz geboren wurde, war mir Grund genug die Lesung aus seinen Kolumnen anzuhören — außerdem kann ich mich immer wieder für seinen pointierten Schreibstil begeistern, auch wenn ich nicht immer mit ihm einer Meinung bin. Künftig werde ich seine Beiträge aber wohl auch lieber wieder lesen anstatt sie mir anzuhören…

lyrix

Vortrag

Eine der Preisträgerinnen des lyrix-Wettbewerbs

Als sich die Menschentraube wieder aufgelöst hat, schlendere ich durch die Halle und bleibe am Stand des Deutschlandradios hängen, wo in Kürze eine Lesung mit den Gewinnern des bundesweiten Schülerwettbewerbs lyrix stattfinden soll. Warum nicht, denke ich, und harre der Dinge, die da kommen. Nach einer kurzen Anmoderation geht es auch schon los. Den Anfang macht Josefine Bergholz, gefolgt von Christiane Heidrich und Helena Kies. Es ist durchaus spannend, den unterschiedlichen Stilen im Umgang mit Sprache zuzuhören.

„Before they pass away“

Mein wirkliches Highlight des Tages folgt etwas später am Stand von teNeues, wo unter anderem auch Fotograf Jimmy Nelson sein Projekt Before they pass away vorstellt. Ist schon die „reguläre“ Ausgabe seines Buches — die Anführungszeichen deshalb, weil auch diese stolze 128€ kostet — ein gelungenes Meisterwerk, konnte man zusätzlich auch noch eine Schmuckausgabe (der Preis dafür liegt dann bei 6500€) in noch größeren Dimensionen (40cmx59cm) bewundern. Man kann sich schon in den wundervollen Arbeiten verlieren, die man da zu sehen bekommt. Before they pass away ist ein wunderbares Projekt und eine fotografische Meisterleistung. Es dokumentiert gewissermaßen die Lebensweise von Naturvölkern auf der ganzen Welt, die Jimmy Nelson seit 2009 besucht hat. Der dokumentarische Charakter wird dabei natürlich insofern relativiert, als dass die Motive arrangiert werden müssen. Bevor ich nun aber ganz ins Schwelgen gerate, fasse ich mich an dieser Stelle aber lieber kurz und schreibe lieber bei Gelegenheit noch einen eigenen Beitrag über dieses phantastische Meisterwerk.

Der Grund aber, aus dem Before they pass away zu meinem persönlichen Höhepunkt wird ist der, dass ich das große Glück habe, mit Jimmy Nelson persönlich ins Gespräch zu kommen und ihm ein paar Fragen hinsichtlich seiner Arbeitsweise, der Authentizität der Motive und anderer Aspekte des Projekts stellen zu können. Wir unterhalten uns wohl eine gute halbe Stunde und mir wird ein unglaublich persönlicher Zugang zu seinem Werk gewährt. Am Ende tut es mir wirklich in der Seele weh, derzeit nicht über das nötige Kleingeld zu verfügen, um eines seiner Bücher erstehen und von ihm signieren lassen zu können.

„How to draw the Simpsons“

Bill Morrison zeichnet

Bill Morrison zeichnet Bart Simpson

Nach diesem unglaublich inspirierenden Gespräch, kann es eigentlich kaum noch besser werden. Was aber natürlich kein Grund ist, sich nicht weiter treiben zu lassen. Mein Weg führt mich wieder zur Comic-Area, dieses Mal um Bill Morrison, dem Chefzeichner der Simpsons, über die Schulter zu schauen, wie man Bart, Homer und Mr. Burns zeichnete. Als dann die Nummern für die anschließende Signieraktion verteilt werden, mache ich mich aus dem Staub. Hätte man sich einfach irgendwas signieren lassen können, wäre ich vielleicht noch geblieben und hätte mein Glück versucht, da aber nur Simpsons-Comics zugelassen waren, ziehe ich es vor weiterzuziehen.

Sich treiben lassen…

Den Rest des Tages kann ich mich dann wirklich treiben lassen. Ich habe mir keine weiteren Veranstaltungen ausgesucht, an denen ich gerne teilnehmen würde und so tingele ich durch die Teile der Hallen, die ich bislang noch nicht gesehen habe. Am Stand der Tageszeitung Die Welt spricht gerade Andrea Maria Schenkel — vermutlich über ihren neuen Roman. Ich bleibe nicht stehen und verschwende gerade eben noch einen Gedanken daran wie überaus gut das „Niveau“ des Springer-Blattes und der unterirdische Schreibstil der „Autorin“ doch zusammenpassen.

Manche Verlage könnten ihre Mitarbeiter vor einer Messe ruhig mal etwas briefen, vielleicht würden sie dann bei einfachsten Nachfragen nicht aus der Wäsche gucken, als habe man sie soeben nach dem einzig wahren Sinn des Lebens gefragt. Die Richtige Antwort wäre übrigens in diesem Falle nicht 42 gewesen…

Und hat man von Arschlöchern auf der Messe bislang noch nicht genug, kann man sie sich in Halle 4.1 auch noch aus nächster Nähe ansehen. Und zwar in so nahen Close-Up-Fotografien, dass man sie gar nicht als solche erkennen würde, würde das Buch in dem sie verewigt sind nicht auf den schönen Namen Backstage hören.

Brasilien

Säulen

Menschen zwischen Fotos und Papier

Fast schon als Abschluss des Tages lege ich meinen Besuch in der Halle des Gastlandes, Brasilien, ein. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Wege die Gastländer gehen, um den Besuchern die Literatur ihre Literatur nahezubringen. In diesem Jahr finden sich dazu unter anderem Hängematten, auf denen man sich mithilfe von Kopfhörern aus dem Messegeschehen ausklinken kann oder Säulen mit Abreißzetteln auf denen Romanasuzüge zu lesen sind und deren Gestaltung über ein auf die Säulen aufgedrucktes Bild an die Texte heranführt und zum Entdecken einlädt.

Hängematten

Mit Hängematten ködert man natürlich jeden laufmüden Buchmessenbesucher…

Zwar muss ich zugeben, dass diese Aufbereitung an Imposanz dem letztjährigen Gastgeber Neuseeland kaum das Wasser reichen kann — man hatte damals gesamte Halle verdunkelt und darin ein großes Wasserbecken aufgebaut, um mit den dadurch entstehenden Reflexionen und Lichtreflexen bei artistischen und tänzerischen Darbietungen die Zuschauer zu verzaubern — aber auch dieser Aufbau hat definitiv seinen Reiz!

Sonntag — Tag 2

Messesonntag. Weil einem das Gedränge am ersten Tag ja auch noch nicht gereicht hat. Da ich mich aber noch mit Freunden treffen will, mache ich mich nach viel zu wenig Schlaf erneut auf den Weg nach Frankfurt. Die erste Überraschung wartet bereits im Zug: Es gibt noch Sitzplätze! Es scheint sich tatsächlich zu lohnen nicht ab Hauptbahnhof sondern ab Kastel zu starten. Irgendwie ist es aber auch irritierend, dass man bis zum Messegelände selbst keinen einzigen Cosplay zu sehen bekommt. Aber vielleicht ist es dazu einfach noch etwas zu früh…

Sonderlich viel gibt es von diesem Tag dann auch gar nicht zu berichten, da ich mich in erster Linie als „Reiseleiter“ für meine Begleiter verdinge, indem ich versuche sie am gröbsten Gedränge vorbei zu schleusen. Ein Highlight gibt es dann aber doch.

Signierstunde mit Daniel Kehlmann

Kehlmann

Kehlmann!

In Erwartung einer Lesung aus seinem neuen Roman F setze ich mich von meinen Begleitern ab und gehe zum Messestand des rowohlt-Verlags, um ein wenig Daniel Kehlmann zu lauschen. Dort angekommen muss ich aber feststellen, dass ich das Programm offenbar missverstanden habe und anstatt einer Lesung eine Signierstunde abgehalten wird. Die Schlange sieht nicht allzu lang aus und so beschließe ich, mir ein zweites Exemplar von F zuzulegen, obwohl ich das Buch bereits gelesen habe. Inzwischen bin ich also stolzer Besitzer eines signierten und mit einer Widmung versehenen Exemplars des besagten Romans!

Resümee

Die Messe allgemein war wie immer sowohl schön als auch anstrengend. Ich muss aber auch sagen, dass es für mich zugleich die ereignisreichste (Jimmy Nelson, Daniel Kehlmann) aber auch irgendwie die langweiligste Buchmesse bislang war, da ich ohne eine einzige wirkliche „Neuentdeckung“ von dannen ziehen musste. Wo zur Hölle waren denn bloß meine kleinen und „Indie“-Verlage geblieben? Insbesondere den Verlag Onkel & Onkel habe ich schmerzlich vermisst, hatte man mir doch an dessen Stand im vergangenen Jahr eine tolle Buchempfehlung ausgesprochen. Gerne hätte ich das in diesem Jahr wiederholt. Auch bei den Büchern über Kunst und Fotografie war dieses Jahr nichts dabei, was mich so richtig „angesprungen“ hätte… Wenn ich nur sehen wollte, was die großen Verlage zu bieten haben, kann ich auch in die nächstbeste Buchhandlung gehen! Ich hoffe, dass das im kommenden Jahr wieder besser wird.

So. Und da ich finde, meine Misanthropie nun lange genug im Zaum gehalten zu haben, gibt es zum Abschluss noch meine Top 5 der nervigsten Dinge auf der Buchmesse:
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Top 5

  1. Menschen allgemein
  2. Menschen, die Trolleys hinter sich herziehen
  3. Menschen, die unmittelbar nach Rolltreppen auf der Stelle stehen und sich umschauen wie ein Reh im Scheinwerferlicht
  4. Menschen, die aufgrund ihrer offenbaren Altersdemenz ihre Manieren vergessen zu haben scheinen — das Alter ist keine Entschuldigung dafür, sich wie der letzte Arsch aufzuführen!
  5. Menschen, bei denen man sich aufgrund von aufgeschnappten Gesprächsfetzen fragt, wie sie auf die Idee gekommen sein mochten, sich in Anbetracht ihres soeben dargebotenen Intellekts, ausgerechnet eine BUCHmesse zu besuchen…

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